Flugspaß braucht Flugsicherheit – Ein Bericht zum FLYTOP Kurs für den Flugplatz Melle

Wir, die aktiven Pilotinnen und Piloten am Flugplatz Melle, haben zur Verhütung von Unfällen beim Fliegen (Flugsicherheit) versucht, unser bislang Möglichstes zu tun. Dazu gehörten vor allem eine gute Ausbildung, vorsichtiges, defensives Verhalten sowie die Einhaltung aller Regeln, Vorschriften und Gesetzte. Fachleute der Sicherheitswissenschaft (Safety Science) nennen diese Methoden zusammengefasst „Safety I“ oder auch reaktive, statische Flugsicherheit. Darüber hinaus wurden bei uns die sogenannten Vertrauenspiloten eingeführt. Diese haben ein Meldesystem gestartet, bei dem Piloten Vorfälle, eigene Fehler oder andere sicherheitsbedrohende Ereignisse melden können. In Folge gaben sie regelmäßig Sicherheitsempfehlungen heraus, um aus Fehlern zu lernen und Unfälle zu vermeiden. Laut Safety Science ist bei solchen Meldesystemen im Luftsport leider zu erwarten, dass nach einer erfolgreichen Einführung nur noch wenige Meldungen eingehen. Den Vertrauenspiloten, und insbesondere ihrem Sprecher Dieter Kammann, wurde bewusst, dass der Flugplatz Melle mit all diesen Maßnahmen auf dem derzeitigen Risikoniveau des Segelflugs / Motorflugs im Luftsport verbleiben würde.
Dies wollten die Vertrauenspiloten (Safety Team) nicht einfach hinnehmen und suchten nach Verbesserungsmöglichkeiten. In der Tat gibt es einen Ansatz, der eine deutliche Risikominderung um mindestens den Faktor 10 im Motor- und Segelflug erwarten lässt: Die Einführung der Sicherheitsmethode Safety II, welche von der kommerziellen Luftfahrt entwickelt und mit dem Beschluss der internationalen Luftfahrtorganisation (ICAO) von 2013 für alle Organisationen, die Luftfahrt betreiben, weltweit eingeführt wurde [1]. Im Segelflug wurde bereits nachgewiesen, dass die Methoden der Safety II das Risiko auch im Luftsport deutlich senken können [2].

Bei der Suche nach Möglichkeiten, Safety II auch für die Vereine, Flugschulen und privaten Flugzeughalter in Melle einzuführen, wurde das Safety Team auf das Kurssystem FLYTOP von Prof. Dr. Alfred Ultsch aufmerksam. FLYTOP hat im Jahr 2022 den Preis für Flugsicherheit von der International Scientific and Technical Soaring Organisation (OSTV) erhalten [3]. Es bietet insbesondere Ausbildungen für Vereine an, mit denen die Sicherheit nachhaltig verbessert werden können. Da hier die Sicherheitskultur dieser Organisationen in Richtung Flugsicherheit geändert werden muss, ist jedoch Voraussetzung für die Kurse, dass möglichst alle Piloten an einem solchen Vereinstraining teilnehmen. FLYTOP Vereinskurse können nur stattfinden, wenn mindestens 80% der Piloten der jeweiligen Organisation und auch 98% der Funktionäre (Vorstände, Fluglehrer etc.) daran teilnehmen. Werden diese Zahlen nicht erreicht, findet das Training nicht statt.
Am 18.3.2023 war es dann so weit: Durch intensive Überzeugungsarbeit des Safety Teams (Vertrauenspiloten) gelang es, die erforderlichen Teilnehmerzahlen zu erreichen, sodass sich am letzte Wochenende 106 PilotInnen, FluglehrerInnen und FlugschülerInnen und 9 derer Partner / Eltern zum FLYTOP-Vereinsseminar in den Räumen des Bayrischen Hofes in Melle eingefunden haben. Eine wesentliche Methode von Safety II ist die Einführung eines Sicherheits-Managements-Systems (SMS). Der Kurs führte die TeilnehmerInnen in einzelnen gut strukturierten Gruppenarbeiten und Aufgabenstellungen durch einen Arbeitszyklus eines solchen SMS. Zunächst lernten die TeilnehmerInnen, wie eine aktive, geplante und strukturierte Suche nach sicherheitsrelevanten Beobachtungen (SRB) in Melle stattfinden kann. Alle PilotenInnen machten sich auf, die Defekte in den Sicherheitsnetzen = Löcher in den Käsescheiben im Sicherheitsmodell von James Reason zu finden. Doch eine Schwäche zeigt das allseits bekannte „Käsescheibenmodell“: Es wird teils suggeriert, dass der Betrachter alle „Löcher“
(Sicherheitslücken) des Sicherheitsnetzes sehen kann. Mögliche Fehler müssen aufgedeckt werden – bereits vor einem Zwischenfall.

Empirische Beobachtungen in mehr als 50 FLYTOP Trainingskursen haben ergeben, dass eine Organisation unter sachkundiger Anleitung durch ausgebildete Sicherheitstrainer (Safety Coaches) im Idealfall so viele Löcher in den Käsescheiben in einer Flugsaison finden kann, die 10% der Startzahlen der Saiso entsprechen.
Unter Anleitung des FLYTOP Teams, Barbara Hofer, Herbert Lehner und Prof. Dr. Alfred Ultsch konnten in Melle diverse Löcher gefunden werden. Das analytisch erarbeitete Ergebnis entspricht ca. 6% der jährlichen Startzahl und ist als ein Ergebnis im guten Mittelfeld zu werten. Dieser Wert wurde intern des Teams in enger Kooperation mit unseren Vertrauenspiloten vor und während des Seminars ermittelt.
Die aktive, professionell geplante und durchgeführte Suche nach SRB ist nur der erste Schritt in einem SMS. Der nächste wichtige Schritt ist die Ableitung von konkreten Projekten aus diesen SRB, welche die Sicherheit auch messbar verbessern können. Unter solchen Projekten – im Käsescheiben-Modell „Deckel auf vorhandene Löcher“ – ist eine sicherheits-erhöhende Maßnahme am Flugplatz zu verstehen, die noch während des FLYTOP Kurses mit einem jeweiligen Projektleiter, Mitarbeitern, einem Zeitplan und Controllern ausgestattet wird. Sehr gute Organisationen schaffen es, jährlich mehr als 10 solcher Sicherheitsprojekte, welche messbar die Flugsicherheit am Flugplatz erhöhen können, auf den Weg zu bringen. Den Safety Coaches von FLYTOP gelang es, 16 solcher Projekte bei uns in Melle in die Wege zu leiten. Insbesondere konnten für die Arbeit an diesen Projekten PilotInnen gewonnen werden, die nicht bereits Funktionen im Verein, wie z.B. Vorstand, Fluglehrer oder VertrauenspilotIn, innehaben.

CRM für den Luftsport

Sicherheitswissenschaftliche Erkenntnisse haben bei Luftfahrt-Organisation gezeigt, dass ein zentrales und wichtiges Element der Sicherheits-Kultur der Umgang miteinander (Crew Ressource Management CRM) sowie der Faktor Mensch (Human Faktors – HF) sind. Die Safety Coaches von FLYTOP haben hierzu die PilotInnen sowohl in Kommunikation als auch CRM und HF aus- und weitergebildet. Ein wichtiges Ausbildungsziel ist dabei der Umgang mit Fehlern (HF). Safety II akzeptiert, dass PilotInnen trotz bestem Training und äußerster Anstrengung immer wieder Fehler machen werden. Wie diese Fehler so zu nutzen sind, dass sie zu einer Verbesserung der Sicherheitsnetze dienen, und somit als Sicherheits-Ressource anzusehen sind, wurde in der Praxis erlernt.
Crew Ressource Management (CRM) ist eine der Schlüsselmethoden der Safety II in der kommerziellen Luftfahrt. Was kann Crew Ressource Management bei PilotInnen sein, die überwiegend alleine in Segel- , UL- oder Motorflugzeugen sitzen? CRM bedeutet, dass der Pilot in Command insbesondere die Zuarbeit und Hilfe seiner Crew verwenden sollte. Im Luftsport sind unter der „Crew“ auch die Vereinskameraden zu verstehen. Somit wird im Luftsport aus Crew Ressource Management ein Club Ressource Management (CRM). CRM bringt einen Zugewinn an Flugsicherheit, wenn Piloten in den sog. nicht-technischen Fertigkeiten ausgebildet werden. Wenn es im zwischenmenschlichen Bereich stimmt, kann die Flugsicherheit deutlich verbessert werden. Hat nicht jeder schon mal einem Vereinskameraden gesagt, dass es besser wäre, heute nicht zu Fliegen, weil bei so viel beruflichem Stress nur ein „halbes Gehirn“ für die Flugaufgabe zur Verfügung steht. Oder umgekehrt: Wenn dies im Verein nicht stimmt, wenn man sich am Flugplatz nur ärgern muss oder gar streitet, führt das klar zur Verminderung der Flugsicherheit.
Das FLYTOP Training verwendet hierfür gezielt eine aufeinander aufbauende Folge von Gruppenarbeiten, bei denen zunehmend an zwischenmenschlicher Kommunikation, Kooperation, Führungsverhalten und Entscheidungsfindung geübt werden. Als „Nebeneffekt“ haben die Teilnehmer mit Personen produktiv zusammengearbeitet, die sie vor dem Training kaum gekannt haben. Den TeilnehmerInnen wurde klar, dass durch eine gute Zusammenarbeit der und in den Vereinen ein in die Praxis umsetzbares Mehr an Flugsicherheit gewonnen werden kann.

Nachhaltigkeit

Um die Verbesserung der Flugsicherheit nicht nur während des Trainingstages, sondern nachhaltig in Melle zu etablieren, wurde beschlossen, ein Grundsatzprogramm Flugsicherheit für den Flugplatz zu entwerfen. Ziel ist es, dieses von den Mitgliederversammlungen aller Vereine und allen Privatpiloten als verbindlich bestätigen zu lassen.
Um in Melle ein Safety II dauerhaft einzuführen und zu betreiben, will der Flugplatz Melle ein Team von ca. 5 PilotInnen zu Sicherheits-TrainerInnen (Safety Coaches) ausbilden lassen. Diese Ausbildung umfasst ca. 100 Stunden Ausbildung in Flugsicherheit. Erfreulich war, dass sich noch während des Kurses selbst junge Pilotinnen hierfür bereit erklärt haben.

Damit die Arbeit der Safety Coaches auch verstanden, im Verein angenommen und umgesetzt werden kann, wurde vereinbart, den Fluglehrern in Melle sowie den Vereins-Funktionären eine Ausbildung in Safety II anzubieten. Für die Fluglehrer ist geplant, dies im Rahmen ihrer obligatorischen Weiterbildungen im Landesverband im Herbst 2023 einzubauen. Die Safety Coaches beginnen ihre Ausbildung mit Online-Unterricht bei FLYTOP.

Als ein Nachfolgeprojekt für den zusammen erarbeiteten ersten SMS-Arbeitszyklus wurde einen „Safety Event“ vor Saisonbeginn 2024 vereinbart. Das FLYTOP Team hat zugesagt, dieses „Safety Event“, welches unter Leitung der bis dahin ausgebildeten Safety Coaches aus Melle stattfinden soll, im Hintergrund zu begleiten.

Fazit

Die 16 erarbeiteten Projekte, der Zuwachs an Ideen, der Austausch von Visionen, die bewusste Auseinandersetzung mit dem Thema Sicherheit und vor allem die vielseitige, harmonische Zusammenarbeit mit außerordentlich guter Beteiligung wurde von allen Teilnehmern als sehr positiv wahrgenommen und möchte auch in Zukunft nicht gemisst werden.

Ein hervorragender Anfang ist also gemacht, ein wichtiger Impuls wurde gegeben. Lasst uns darauf aufbauen, lasst uns das Gefühl des „WIR“, welches „WIR“ intensiv erleben durften beibehalten, lasst uns unsere Chancen nutzen und die unbeschreiblich schönen Facetten unseres Luftsports am Flugplatz Melle, unserem Heimatflugplatz, sicherer machen!

DANKE

An dieser Stelle möchten wir als Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars ein besonders großes Danke aussprechen!
Ohne die Hilfe unserer Vertrauenspiloten, unserem Flugbetriebsleiter, Manfred als Schnittstelle zur Lokation und Karsten, der uns die Veranstaltungstechnik gestellt hat, hätte dieses Seminar – damit auch das Vorantreiben der Vereinsvorhaben, insbesondere in Sachen Flugsicherheit – so nicht in die Wege geleitet werden können. Auch für die finanzielle Unterstützung der Sponsoren, der Luftfahrtversicherungen, Manfred, Martin, des DAeC Landesverbandes NRW und des DAeC Landesverbandes Niedersachsen bedanken wir uns recht herzlich!

[1] Safety Management, Annex 19 to the Convention on International Civil Aviation, firs Edition, July 2013
[2] Swenson, H. : The FLYSAFE project in Sweden, proc. OSTIV Safety Conference, Wasserkuppe, 2017
[3] https://ostiv.org/newsdisplay/ostiv-prize-awarded-to-prof-dr-alfred-ultsch.html

Autoren:

Für das FLYTOP Team: Barbara, Herber und Prof Dr. Alfred Ultsch

Für den SFC Melle und AC Bünde: Minna und Justin